Immerhin ein Sieg gegen Biel (4:0). Den Lichtstrahl im Nebel der Depression verdankt der SC Bern zu einem schönen Teil Präsident Marc Lüthi. Er hat nach der Niederlage gegen Lausanne (1:4) getobt wie nie seit seinem Eintritt in den SCB.
Mit Wilhelm Busch lässt sich die Episode auf einen Nenner bringen:
«Lange war der SCB so krank – nun tobt der Lüthi wieder Gott sei Dank.»
Ein kurzer Blick zurück hilft uns, die Gegenwart zu verstehen: Die besorgniserregende Verfassung der Mannschaft nach dem 1:4 gegen Lausanne am letzten Dienstag hatte die SCB-Chefetage aufgeschreckt: Spieler, Trainer, Staff und Sportchef mussten am Mittwoch-Vormittag um 10.00 Uhr zur Krisensitzung in der «Energy Lounge» (also im «Kraftstübli») antraben. Die Referenten: Präsident Marc Lüthi und Manager Raëto Raffainer. Dauer der Veranstaltung: eine gute Stunde.
Was geschah im noblen VIP-Bereich des Stadions? SCB-Manager Raëto Raffainer bestätigte bloss den Termin. «Ja, es ist richtig, dass Marc Lüthi und ich mit der gesamten Sportabteilung um 10.00 Uhr eine Sitzung in der Energy Lounge des Stadions hatten. Was gesprochen worden ist, bleibt intern.»
Ein paar Hosentelefonate waren erforderlich, um herauszufinden, was «intern» hätte bleiben sollen. Die Vermutung, Präsident Marc Lüthi sei freundlich gewesen, ganz dem von Raëto Raffainer eingeführten modernen Führungsstil entsprechend, war ein Irrtum. Auf den Punkt gebracht: Präsident Marc Lüthi tobte wie noch nie seit seinem Eintritt in den SCB im Sommer 1998.
Einer der wettergegerbten SCB-Veteranen erzählt, so habe er Marc Lüthi noch nie erlebt. Es seien unerhörte Kraftausrücke gefallen und der Präsident habe die Spieler als «Pussy» bezeichnet. Dieses Wort ist in der in der Hockeyumgangssprache geläufig und eine arge Beleidigung: Es ist die ultimative Bezeichnung für Weichlinge.
Einer, der beim SCB ebenfalls schon viel erlebt hat, sagt, er habe sich sogar einen Augenblick lang überlegt, ob er während Lüthis Donnerwetter aufstehen und aus Protest den Raum verlassen sollte. Das habe er aber dann doch nicht gewagt. Den Raum aus Protest gegen den Präsidenten verlassen – ach, das wäre ein Eklat von allerhöchstem Unterhaltungswert gewesen.
Die Frage geht an Marc Lüthi: Haben Sie tatsächlich so getobt? Er sagt: «Ich habe ein so kurzes Gedächtnis, dass ich auf diese Frage nicht antworten kann.» Und ergänzt: «Sie wissen doch: Was intern ist, bleibt intern.»
Diese Episode zeigt: Offensichtlich geht es beim SCB in schwierigen Zeiten nach wie vor nicht, ohne dass Marc Lüthi ins Tagesgeschäft eingreift.
Unvergessen bleibt der 24. Januar 2016. Der SCB kassiert in Biel die sechste Niederlage in Serie (3:4 n.V), fällt auf den 9. Platz zurück und droht acht Spiele vor Schluss die Playoffs zu verpassen.
Ein aufgebrachter Marc Lüthi begibt sich zur Brandrede in die SCB-Kabine und knallt die Türe so heftig zu, dass der dumpfe Knall so ziemlich im ganzen Stadion die Menschen zusammenfahren lässt. Der SCB schafft die Playoffs und wird vom 8. Platz aus Meister. Es ist eine fundamentale Wende: Der SCB feiert nach diesem Donnerwetter in vier Jahren drei Titel.
Die Zeiten der unkonventionellen, rustikalen Führung schienen nach dem Rückzug von Marc Lüthi vom Manager- auf den Präsidenten-Posten und der Beförderung von Raëto Raffainer zum Manager vorbei zu sein. Dialog statt toben. Ein Dreijahresplan und Ausreden statt kompromissloses Erfolgsstreben. Eine Rudolf-Steiner-Schule des Hockeys statt Bayern München.
Und nun zeigt sich: Es geht beim SCB nach wie vor nicht ohne Marc Lüthi. Ohne seine lauten, klaren Worte. Raëto Raffainer ist nach wie vor erst Marc Lüthis Zauberlehrling.
Aber wirkt Marc Lüthis Donnerwetter auch mittel- und langfristig noch einmal so wie damals 2016? Nach der legendären «Kabinentüre-Schletzete» zu Biel gewann der SCB vier der noch ausstehenden acht Qualifikationsspiele. Erst dann setzten die Berner in den Playoffs zum Gipfelsturm an: Sie gewannen den Viertelfinal gegen die ZSC Lions in vier, den Halbfinal gegen Davos und den Final gegen Lugano in fünf Spielen.
2023 wie 2016? Nach dem Lüthi-Donnerwetter von 2016 folgte kurzfristig eine Penalty-Niederlage in Lausanne und ein Verlängerungssieg in Ambri. Nun haben die Spieler sieben Jahre später auf sein Toben mit einem Sieg gegen Biel (4:0) und einer Niederlage in Kloten (2:3) reagiert. Theoretisch spricht nichts gegen eine Wiederholung von 2016.
Praktisch aber schon. Nach übereinstimmenden Berichten aus dem SCB-Heiligtum geniesst Torhüter Philip Wüthrich in der Kabine offenbar nicht mehr das uneingeschränkte Vertrauen all seiner Vorderleute.
Wenn das tatsächlich so sein sollte, dann ist es an Sportchef Andrew Ebbett und Manager Raëto Raffainer, sich diesem Problem sofort anzunehmen. Vor allem, weil der Grund für dieses schwindende Vertrauen offenbar nicht manchmal durchschnittliche Leistungen (mit einer Fangquote von 91,03 Prozent nur die Nummer 11 der Liga) ist. Sondern der Eindruck, der hochtalentierte und vielgerühmte Goalie sei mit sich selbst im Training zu gnädig.
Die bange Frage deshalb: Hat der SCB ein Goalieproblem?
Wir wollen die SCB-Berichterstattung mit einer positiven Meldung beenden: Die Saisonkarteninhaber haben einen Konsumations-Gutschein im Wert von 15 Franken erhalten, den sie bis zum Heimspiel gegen Ajoie in einer der Stadionbeizen einlösen können. Eine gute Investition: Mit vollem Magen werden die SCB-Vorstellungen gnädiger beurteilt als mit leerem Magen.