CS-Tochterbank vergab zu leichtfertig Kredite an mittellose Tamilen


February 6, 2023

Das Bundesgericht hat den Chef der tamilischen Widerstandskämpfer in der Schweiz vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Damit rückt die Credit Suisse, mit der er geschäftete, in den Fokus.

Zehn Jahre nach seiner Verhaftung ist Kiran Kumara (Name geändert) wieder ein in jeder Hinsicht unbescholtener Mann. Das Bundesgericht hat den unterdessen pensionierten Kochgehilfen aus Sri Lanka vom Vorwurf des Betrugs freigesprochen. Er erhält eine Genugtuung von 20’000 Franken, die Verfahrenskosten zahlt der Bund.

Aus dem Urteil geht hervor: Das Bundesgericht hält die in den Fall verwickelte Bank-now für die Vorwürfe mitverantwortlich, die Kumara gemacht wurden. Die Tochterbank der Credit Suisse habe es bei der Vergabe von Krediten an Vorsicht mangeln lassen. Offensichtliche Warnsignale seien in den Wind geschlagen worden. Und selbst als bankintern der Verdacht auf Unregelmässigkeiten aufgekommen sei, habe die Bankführung keine «ernsthaften Kontrollen» durchgeführt.

Blutiger Bürgerkrieg

Der Fall führt zurück in die Zeit des blutigen Bürgerkriegs in Sri Lanka. Zwischen 1983 und 2009 kämpften im Norden des Landes tamilische Freischärler für einen unabhängigen Staat Tamil Eelam. Hunderttausende Tamilen flüchteten, rund 50’000 von ihnen kamen in die Schweiz.

Unter ihnen befand sich Kumara. Er leitete die Schweizer Organisation der tamilischen Rebellen: Liberation Tigers of Tamil Eelam LTTE. Zusammen mit seinen Mitstreitern ersann er ein ausgeklügeltes System, um die Partisanen in der Heimat finanziell zu unterstützen. Die Schweizer Führungscrew der Tamil Tigers vermittelte an Hunderte von Landsleuten Kleinkredite. Dieses Geld kam aber nicht den Kreditnehmern zugute: Laut Bundesanwaltschaft flossen 15 Millionen Franken direkt nach Sri Lanka für die Finanzierung des blutigen Bürgerkriegs, bei dem es auf beiden Seiten zu Kriegsverbrechen kam.

Dabei war klar: Die meisten der oft mittellosen Tamilinnen und Tamilen in der Schweiz erfüllten gar nicht die Bedingungen, um die Kredite zu erhalten. Um dies zu verschleiern, erhielten die Kreditnehmer von den Tamil Tigers unter anderem fingierte Lohnausweise für ein angebliches Nebeneinkommen.

Die Bank-now vergab auf der Grundlage von 214 praktisch identischen Gesuchen mit solchen falschen Lohnausweisen Kredite von durchschnittlich über 65’000 Franken. Zum Vergleich: Der Durchschnitt von Konsumkrediten dieser Art liegt bei rund 24’000 Franken. Offensichtlich war das alles für die Bank kein Problem – sie vergab die hohen Kredite und kassierte die Zinsen dafür. Zurückgezahlt wurde das Geld von den Tamil Tigers.

Das Urteil kann auch so gelesen werden, dass die Bank die Geschäfte möglicherweise bewusst einging.

Die Bundesanwaltschaft aber beschuldigte Kumara und elf weitere Tamilenführer primär wegen anderer Vorwürfe: Sie seien Mitglieder einer kriminellen Organisation und hätten mit dem Geld aus den Krediten Terrorangriffe in Sri Lanka finanziert.

Aber 2018, nach einem achtwöchigen Monsterprozess, erlitt die Bundesanwaltschaft vor Bundesstrafgericht in Bellinzona ihre bis dahin grösste Niederlage in einem Antiterrorprozess: Die zwölf Tamilen wurden in den Hauptanklagepunkten freigesprochen. Übrig blieb nur eine Verurteilung wegen Betrugs: Kumara habe mit gefälschten Angaben Kleinkredite für sich und seine Landsleute erschlichen. Dagegen legten Kumaras Anwalt Marcel Bosonnet und Anwältin Fanny de Weck Berufung ein. Das Verfahren zog sich über vier Jahre hin, weil die Bundesanwaltschaft auf ihrem Standpunkt beharrte. Bis jetzt das Bundesgericht das rechtsgültige Urteil fällte.

Das Bundesgericht kommt zum Schluss, die für den Betrug notwendige Arglist könne dem Beschuldigten nicht nachgewiesen werden. Anders ausgedrückt: Die Unterlagen, mit denen Kumara seinen Landsleuten zu ungerechtfertigten Krediten verhalf, waren so falsch, dass die Bank das hätte erkennen müssen. Das Urteil kann auch so gelesen werden, dass die Bank die Geschäfte möglicherweise bewusst einging. Das Bundesgericht schreibt wörtlich: «Wenn Kreditanträge von einer Angestellten der Bank-now AG abgelehnt wurden, wurden die strittigen Geschäfte an andere Personen weitergeleitet.»

Marcel Bosonnet, Kumaras Anwalt, fühlt sich durch den Bundesgerichtsentscheid bestätigt. Für ihn ist Bank-now die «eigentliche Täterin». «Sie sah nur das Geschäft, profitierte von happigen Zinsen und vergab die Kredite nicht mit der notwendigen Vorsicht und Sorgfalt», sagt Bosonnet. Er sieht darin eine Verletzung des Konsumkreditgesetzes. Zusammen mit Anwaltskollegen hatte er deswegen bei der Finanzmarktaufsicht Finma schon 2018 eine Anzeige eingereicht.

«Bank-now hält sich an die Gesetze»

Die Bank-now weist alle Vorwürfe von sich: «Wir haben keine Kenntnis eines Verfahrens gegen Bank-now als beschuldigte Partei», sagt Pressesprecher Bernhard Schmid. Die Bank stehe zudem regelmässig mit der Finma in Kontakt, sie nehme inhaltlich aber keine Stellung zu diesen Kontakten. «Die Bank-now hält sich an die geltenden Gesetze und hat strikte interne Richtlinien, um deren Einhaltung zu gewährleisten», sagt der Sprecher. Die Kreditprüfung von Bank-now werde laufend neuen Erkenntnissen und Erfahrungen angepasst.

Es liegt laut dem Sprecher auch «im eigenen Interesse der Bank, die Kreditprüfung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben so durchzuführen, dass die Kreditnehmer den erhaltenen Betrag wie vorgesehen an die Bank zurückbezahlen können.»

Die Finma ihrerseits will nicht sagen, ob sie in dem Fall aktiv geworden sei – oder noch werde. Pressesprecher Tobias Lux sagt nur, wenn die Finma Hinweise auf mögliche Verletzungen des Aufsichtsrechts habe, gehe sie diesen konsequent nach. Verstösse gegen das Konsumkreditgesetz würden aber ohnehin nicht in die Zuständigkeit der Finma fallen: «Die Finma ist als Aufsichtsbehörde nicht für die Beurteilung und Durchsetzung zivilrechtlicher Ansprüche zwischen Beaufsichtigten und ihren Kunden zuständig.»

Für die betroffenen Tamilinnen und Tamilen waren die Kredite – von denen sie selbst nie einen Rappen sahen – ein Armutsrisiko. Nach der Niederlage im Bürgerkrieg übernahmen nicht mehr die Tamil Tigers die Rückzahlung. Manche der vorgeschobenen Kreditnehmer mussten ihre Schulden während Jahren abstottern.

Starten Sie jeden Tag informiert in den Tag mit unserem Newsletter der Morgen. Melden Sie sich hier an.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Related

Would you like to receive notifications on latest updates? No Yes