Ob japanische Sphärenmusik, finnische Gitarren-Ekstase oder Tiktok aus dem 19. Jahrhundert: Was man diese Woche nicht verpassen darf.
Lieder über die Pflegekrise: Dokfilm «Ruthless Times»
Sie mussten ihre Patienten schon den ganzen Tag im Rollstuhl sitzen lassen, angegurtet, damit niemand rausfällt. Oder eine verstorbene Frau im Bett liegen lassen, weil das Chaos rundherum so gross war. Von solchen und anderen aufwühlenden Episoden erzählen die finnischen Pflegefachfrauen im Dokfilm «Ruthless Times – Songs of Care». Beziehungsweise: Sie singen im Chor davon, und das mit einer Eindringlichkeit, die erschauern lässt. Die Kämpfe der Altenpflegerinnen um ihr Berufsethos und gegen wirtschaftliches Gewinnstreben beschränken sich längst nicht nur auf Finnland. Im Film von Regisseurin Susanna Helke ist der Pflegekrise zudem ein befreiendes Spürchen Schwarzhumor beigemischt. (lri)
Eiszapfenmusik: Hatis Noit und Evita Manji
Es dürfte ein aparter Abend werden, zu dem die etwas aus dem Veranstaltungs-Flow geratene Dampfzentrale lädt: Zu Gast ist mit der Japanerin Hatis Noit eine Musikerin, die so ziemlich jegliche Form des ungeläufigen Gesangs in ihrem Werk vermengt: Sie kann gregorianischen und pygmäischen Gesang, sie ist in der Musik der Salomon-Inseln ebenso kundig wie in der klassischen japanischen Musik. Aus diesen Ingredienzen erschafft sie mittels Loops und Elektronik eine erdenschöne, anheimelnde und doch heimatlose Sphärenmusik. Den zweiten Teil des Abends bestreitet die griechische Elektro-Musikerin Evita Manji, der an einer unterkühlten Clubmusik gelegen ist, die gefährlich zwischen Pop und Avantgarde mäandert. (ane)
Der gelebte Gitarristen-Traum: Die Gruppe Lampen
Vor der Erfindung der elektrischen Gitarre und der entsprechenden Verstärkeranlagen fristeten Gitarristen ein armseliges Dasein als Orchestermusiker. Ihr Instrument war zu leise, um sich gegen die Bläser und Schlagzeuger durchzusetzen, an solistische Einzelvorstösse war deshalb nicht zu denken. Mit den neuen technischen Möglichkeiten und der damit einhergehenden Lautstärke kamen die Ekstase, das Solo und die Fan-Verehrung – die Gitarristen (eher selten die Gitarristinnen) wurden zu Ikonen der Rockgeschichte, am liebsten hätten sie ein Konzert lang in voller Lautstärke soliert, ohne Rücksicht auf Verluste und Songstrukturen. So gesehen, lebt der finnische Musiker Kalle Kalima den ganz grossen Gitarristentraum. Seine Band heisst Lampen und besteht nur aus ihm und einem Schlagzeuger. Die Gitarre gestaltet hier den Konzertabend, braust auf, kühlt runter, experimentiert und soliert, dass es eine wahre Freude ist. Ist das nun Jazz? Rock? Wahnsinn? Man finde es heraus. (ane)
«Lichtspieler»: Der erste Schweizer Influencer im Kino
Er war seiner Zeit voraus: Der Schweizer François-Henri Lavanchy-Clarke hat die Kunst des Films beherrscht, als wäre er ein moderner Tiktoker. Bereits früh liebte der Mann aus Morges bewegte Bilder, drehte Dutzende ultrakurze Filme, etwa zum Besuch des Königs Rama V. von Siam oder zum Defilee des 8. Bataillons der Schweizer Armee. An der Landesausstellung in Genf errichtete er 1896 eine Leinwand für seine Filme – das erste Kino der Schweiz. Er war aber auch ein gewiefter Marketing-Pionier, der keine Scheu zeigte, Werbung mit Filmen zu verschmelzen. Im Dokumentarfilm «Lichtspieler» blickt der Regisseur Hansmartin Siegrist auf das temperamentvolle Leben von Lavanchy-Clarke zurück, der 1922 starb. (jek)
Romantik im heutigen Stil: Schumanns «Dichterliebe» von Christian Jost
Das «Buch der Lieder» war 1827 der Grundstein für Heinrich Heines Erfolg als Lyriker. Aus dem Sammelband mit 52 Gedichten, in dem es immer wieder um das romantische Urmotiv der unerfüllten Liebe geht, griff der Komponist Robert Schumann zwei Jahrzehnte später einzelne Episoden heraus und setzte sie in Musik. Schumanns «Dichterliebe» wurde schliesslich zu einem 16-teiligen Liedzyklus über das Aufblühen und Verblassen einer Liebe. 2017 wiederum nahm sich der deutsche Komponist Christian Jost Schumanns Vertonung an und schuf eine klangfarbenreiche Fassung für Tenor und Orchester. Das Sinfonieorchester Biel Solothurn führt Josts Werk gemeinsam mit dem Schweizer Tenor Bernard Richter auf. (mar)
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