Journalistin Patrizia Laeri erzählte, wie sie bei SRF belästigt wurde. Nun melden sich viele SRF-Mitarbeiterinnen bei ihr. Die Geschäftsleitung wendet sich derweil per Mail an die gesamte Belegschaft.
Anfang der Woche machte Patrizia Laeri einen Übergriff publik, den sie bei SRF erlebt haben soll. Gegenüber watson erzählte sie: «Ein Redaktor hat mir Hilfe angeboten. Als wir alleine in einem Raum waren, probierte er plötzlich, mich zu küssen. Ich habe gesagt: Nein, bitte hör auf, bitte hör auf! Er hat entgegnet: doch. Trotz mehrerer Neins hat er es weiter versucht, bis ich ihn weggestossen habe. Ich musste mich körperlich wehren.»
Rund 20 Jahre ist dieser Vorfall her. Öffentlich gemacht hat ihn die Wirtschaftsjournalistin allerdings erst jetzt. Auslöser war ein Bericht im Spiegel, in dem Journalistin Anuschka Roshani schwere Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Chef Finn Canonica erhob.
Laeris Fall löst viele Reaktionen aus
Laeris Fall schlug hohe Wellen. Denn der namentlich nicht erwähnte Redaktor arbeitet immer noch bei SRF – und zwar in einer Leitungsfunktion. Zudem soll er laut Laeri mindestens eine weitere Praktikantin belästigt haben.
Bei SRF nahm man die Anschuldigungen «mit grossem Bedauern» zur Kenntnis und lud Laeri zu einem Dialog ein. Inzwischen hat ein erstes Gespräch zwischen der Journalistin und dem Medienunternehmen stattgefunden. Dies bestätigt Laeri auf Nachfrage. SRF hat zudem eine Untersuchung eingeleitet, wie 20 Minuten am Dienstag berichtete.
«Mich hat das grosse Überwindung gekostet» //Patrizia Laeri
Für Laeri war der Schritt in die Öffentlichkeit alles andere als einfach. «Mich hat das grosse Überwindung gekostet», sagt die Leiterin des Finanz- und Medienportals elleXX am Mittwoch zu watson. Sie habe dies nur dank der Unterstützung ihrer Kolleginnen geschafft.
Doch weshalb ging sie an die Öffentlichkeit und kontaktierte SRF nicht direkt? Laeri meint, ihr Team habe aus Solidarität zu Anuschka Roshani entschieden, «an die Öffentlichkeit zu gehen und nicht mehr zu schweigen». Schliesslich habe sich die Autorin dies gewünscht.
«Dem haben sich Hunderte Frauen angeschlossen und viele haben die betroffenen Medienunternehmen konkret genannt», ergänzt Laeri und sagt: «Ich bin nur eine der vielen Betroffenen. Sexismus in der Medienbranche betrifft nicht nur Einzelfälle, er hat System.»
Nun wird Laeri mit Reaktionen überhäuft. «Es ist, als wäre ein Damm gebrochen», sagt sie gegenüber watson. «Es schreiben mir so viele SRF-Leute, vor allem auch junge Frauen.»
SRF-Geschäftsleitung wendet sich an Belegschaft
Bei SRF hat Laeris Fall einiges ins Rollen gebracht. Dies zeigt ein Mail, das die Geschäftsleitung am Mittwoch an die Belegschaft geschickt hat. Das Schreiben liegt watson vor. «Die geschilderten Vorfälle beschäftigen uns stark», schreibt die Geschäftsleitung. «Die Etablierung einer Unternehmenskultur ohne Diskriminierung und Machtmissbrauch hat für uns höchste Priorität. Es ist aber auch eine Tatsache, dass es in unserer Gesellschaft leider zu solchen Vorfällen kommt, auch bei SRF.»
Deshalb sei es der Geschäftsleitung ein Anliegen, aufzuzeigen, was bei solchen Fällen gemacht werden könne. Sie listet mehrere Anlaufstellen auf, bei denen sich Betroffene melden können. Die Geschäftsleitung ermutigt die Mitarbeitenden, Übergriffe zu melden, auch wenn diese weit in der Vergangenheit liegen. «Sollte sich jemand von Euch nun von diesen Zeilen angesprochen fühlen, dann meldet Euch bitte.»
Patrizia Laeri nimmt das Vorgehen wohlwollend zur Kenntnis. SRF nehme das Thema sehr ernst und habe vorbildlich reagiert. Laeri meint: «Ich hoffe, dass sich nun auch weitere Frauen und Männer intern geschützt äussern können. Dann wäre das mutige Exponieren so vieler Frauen und insbesondere von Anuschka Roshani nicht vergeblich gewesen.»