Die frühere Schweizer Weltmarke galt als fast verschollen. Mit einer neuen Plattform soll die Wiedergeburt gelingen.
Er legt das Vinyl auf, lässt die Plattenbürste drübergleiten und bewegt dann behutsam den Tonarm auf das gewünschte Stück. Je mehr Thomas Morawetz das Volumen hochdreht, desto breiter sein Grinsen. «Will you and your friend come around?», singt Mark Knopfler. Der Sound aus den beiden Lautsprechern ist glasklar, man könnte meinen, die Dire Straits stünden mit Gitarre, Bass und Schlagzeug direkt im Wohnzimmer. «Wir wollen, dass unsere Geräte die Musik möglichst so wiedergeben, wie sie einst im Studio aufgenommen wurde», sagt Morawetz. Nichts weniger ist das Credo des Schweizer Hi-Fi-Herstellers Revox. Revox? «Gibts die noch?», bekommt man gemeinhin zu hören, wenn man den Brand erwähnt. Morawetz, der seit vier Jahren die Gruppe mit 150 Mitarbeitern leitet, will das nun im Jahr des 75-jährigen Bestehens ändern. Revox soll wieder ein Begriff werden.
Einst war Studer-Revox eine Weltmarke. Der Umsatz bewegte sich in den besten Jahren im dreistelligen Millionenbereich, mehr als 2000 Mitarbeiter bauten in der Schweiz und im Schwarzwald Geräte zusammen, die weltweit in Aufnahmestudios zum Einsatz kamen und oft noch im Einsatz sind. Zur fast schon mythischen Geschichte gehört etwa, dass die Beatles 1967 ihr Album «Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band» auf der bekannten Studer-Tonbandmaschine (Modell J37) aufgenommen haben. Doch auch Geräte wie Verstärker und Lautsprecher sind unter Liebhabern noch immer gefragt. Eine weltbekannte Sängerin, die am Zürichsee residiert, soll mal gesagt haben, dass sie ihre Stimme noch nie so deutlich auf einer Aufnahme gehört habe. Trotzdem: Dass Revox heute noch besteht, ist praktisch ein Wunder. Denn eigentlich galt der Brand als tot. Oder als zumindest für einige Jahre im Koma. Zwar zuckte der Name hie und da noch auf in den Medien. Eine Wiederbelebung gelang bisher aber nicht wirklich. Vor zwei Jahren wurde dann auch das bereits seit Längerem nicht mehr verwendete, ikonische Gebäude in Regensdorf abgerissen, es musste einer Wohnüberbauung weichen.
«Anfang vom Ende»
Der Untergang begann schon früh: Dem 1996 verstorbenen Firmengründer und Hi-Fi-Pionier Willi Studer ist es nicht gelungen, das Unternehmen ins digitale Zeitalter überzuführen. Das Interesse an Tonbandmaschinen ging Mitte der 1980er Jahre stark zurück, und die asiatische Konkurrenz lieferte billigere CD-Player. Kaufangebote von Multis wie Siemens, Sony oder Philips schlug Studer aus. Weil er aber keine befriedigende Nachfolgelösung fand und nicht ins Ausland verkaufen wollte, übergab er 1990 die Firma für 30 Millionen Franken schliesslich an Motor-Columbus – einen einst in Baden ansässigen Energiekonzern, der damals alles zusammenkaufte, was in irgendeiner Form Strom verbrauchte und so zu einem schier unmanagebaren Konglomerat anwuchs. «Das war der Anfang vom Ende», sagt ein Branchenkenner.
Ernst Thomke kam damals von der Swatch Group als Sanierer und spaltete die Firma auf: Die Profisparte für Musikstudios verkaufte er unter dem Namen Studer an die amerikanische Harman Group, die Konsumentensparte ging unter der Bezeichnung Revox an Privatinvestoren. Vor 20 Jahren kaufte ein gewisser Beat Frischknecht erstmals einige Aktienanteile. Der Thurgauer baute sich während seiner Karriere als Vermögensverwalter ein beachtliches Liegenschaftsportfolio auf mit Gewerberäumen und mehreren hundert Mietwohnungen im Thurgau und zum Grossteil in der Stadt Zürich. Vor zwei Jahren nahm Frischknecht seine Immobilienfirma BFW Liegenschaften von der Börse.
Längst war er zu diesem Zeitpunkt schon alleiniger Revox-Inhaber geworden. Vor 15 Jahren übernahm er die Anteile von einem verstorbenen Schweizer, der in den USA lebte und dessen Söhne verkaufen wollten. Frischknecht sah drei Aspekte als Chancen: «Erstens wird Musik weltweit konsumiert, zweitens ist Revox ein legendärer Brand, und drittens klingen die Anlagen besser als die der Konkurrenz.» Da müsste doch etwas zu machen sein. Mit Konkurrenz meint Frischknecht nicht unbedingt Hersteller im absoluten High-End-Hi-Fi-Bereich, deren Lautsprecher fünf- bis sechsstellige Beträge kosten, sondern Hersteller wie die dänische Bang & Olufsen oder die US-Konzerne Bose und Sonos, die Hi-Fi im Premiumbereich anbieten und ein breites Publikum erreichen.
Bisher gelang es Revox jedoch nicht, mit einem neuen Produkt zur grossen Konkurrenz aufzuschliessen. Während Sonos zuletzt 1,75 Milliarden Dollar umsetzte, kommt Revox derzeit auf einen zweistelligen Millionenbetrag und schrammt knapp über die Profitabilitätsschwelle. Doch nun will man wachsen. «20 bis 30 Prozent im Jahr sollten drinliegen», sagt Frischknecht, der als VR-Präsident amtet. Gelingt der legendären Marke nun endlich die Rückkehr in zahlreiche Wohnzimmer?
Zusammen mit CEO Morawetz und Christoph Frey, der während mehr als zwei Dekaden als Chef amtete und noch immer als Verwaltungsrat an Bord ist, empfängt Frischknecht BILANZ in Regensdorf, wo Revox in einem Bürokomplex einquartiert ist. Von den früheren Tausenden Mitarbeitern sind nicht mehr viele übrig. Rund sieben Personen arbeiten am Schweizer Hauptsitz; der Verkauf für die Schweiz wird von hier aus geleitet, daneben gibt es hier noch die Softwareentwicklung und eine kleine Reparaturwerkstatt. Noch immer kommen Enthusiasten vorbei und lassen ihre alten Geräte reparieren. Wird es zu komplex, gehen die Maschinen ins Zentralwerk im rund eine Stunde entfernten Villingen im Schwarzwald. Dort produziert das Unternehmen seit vielen Jahren. Da einst der ehemalige Patron Studer in Regensdorf nicht ausbauen konnte, tat er dies halt in Süddeutschland – weil er sich am Wochenende ohnehin gerne dort aufhielt.
Neue Softwareplattform
Untätig war man bei Revox in den letzten Jahren aber nicht. Man begann vor 15 Jahren, an einer neuen Technologieplattform zu tüfteln, und perfektionierte diese in den letzten paar Jahren. Ende 2022 kamen die ersten darauf basierenden Produkte auf den Markt. Es handelt sich um eine qualitativ hochstehende Audioanlage in zwei Ausführungen und in verschiedenen Farben. Das Herzstück ist jedoch nicht unbedingt das Gerät selbst, sondern die Software. Sie bildet eine Plattform, auf der alle Revox-Produkte laufen und auf der sich sämtliche Streamingdienste, Radios und Podcasts integrieren lassen. Auch können die Nutzer andere Geräte wie Plattenspieler und Tonbandgeräte daran anschliessen und deren Klang mit Lautsprechern im ganzen Haus verteilen. In einer App kann sich jede Person eines Haushalts ihre eigene Startseite zusammensetzen mit ihren liebsten Sendern, Playlisten und Podcasts.
«Die Entwicklung war ein gigantischer Kraftakt für uns», sagt Christoph Frey. «Nun haben wir jedoch einen riesigen Berg überwunden.» Von den grossen Hi-Fi-Herstellern hat bisher nur Sonos eine eigene Softwareplattform. «Mit unserer Plattform sind wir nun unabhängig von anderen Chip- und Softwareherstellern und haben eine Basis für die nächsten Jahrzehnte.» Denn neue Produkte, neue Trends oder höhere Auflösungen sollen sich alle in das System integrieren lassen. Und: Laut Frey will Revox in den nächsten zwei bis drei Jahren neue Produkte auf den Markt bringen, etwa in Form von neuen Audiogeräten in diversen Grössen, Formen und in Designs passend für moderne Architektur. «Wir müssen nun nicht mehr ein grundlegendes System erarbeiten, sondern können uns auf die Produktentwicklung fokussieren.» Jedes neue Produkt soll somit miteinander kompatibel sein.
Frischknecht ist jedenfalls optimistisch als Investor. Aus seiner Sicht sollte der Weg zu neuer Grösse vorgespurt sein. Doch sind Hi-Fi-Systeme, die schnell einmal ein paar tausend Franken kosten, überhaupt noch gefragt? Die Jungen haben sich längst an das klimpernde Klangbild der Smartphones und mobilen Billigboxen gewöhnt. Und auch anspruchsvollere Audiophile setzen sich heute gerne nur noch Kopfhörer auf.
Hi-Fi-Land Schweiz
Dennoch gibt es neben Revox in der Schweiz diverse kleine Hersteller wie Rowen, CH Precision oder Piega im teuren Hi-Fi-Bereich. Piega zum Beispiel ist 1986 in Horgen gegründet worden und hat sich auf High-End-Lautsprecher fokussiert. Manuel Greiner führt heute das Unternehmen mit seinem Bruder in der zweiten Generation. Im gehobenen Lautsprechersegment ist Piega mit einem Umsatz im hohen einstelligen Millionenbereich Marktführer in der Schweiz. Insgesamt erzielt die Manufaktur mit 30 Mitarbeitern einen zweistelligen Millionenbetrag. «Wir wollen nun besonders in Deutschland, Österreich und Nordamerika stark wachsen», sagt Greiner. Preislich geht es bei rund 1000 Franken los für Streamingboxen. Für anspruchsvolle Lautsprecher wird aber schnell einmal ein fünfstelliger Betrag fällig, das Flagship-Modell kostet 245’000 Franken. Drei Wochen braucht ein Mitarbeiter, um diese Edel-Lautsprecher zusammenzubauen. Im Jahr produziert Piega rund zwanzig Stück davon, die meisten Bestellungen dafür kommen aus Asien.
Dass High-End-Hi-Fi nicht mehr gefragt sei, sieht Greiner nicht. Während der Pandemie feilte er am Businessplan und analysierte den Markt. «Es gibt einen Trend, dass viele Musikliebhaber wieder stärker nach einem hochqualitativen Sound streben.» Sie wollen eine nachhaltige Anlage, die für viele Jahre Bestand hat, und das spielt Herstellern wie Piega in die Karten. «Ein elegantes und zeitloses Design ist deshalb die Voraussetzung, damit sich die Anlage gut in die verschiedensten Räume integrieren lässt.»
Im High-End-Bereich unterwegs ist auch Daniel Weiss, der in Uster die achtköpfige Manufaktur Weiss Engineering betreibt und der 2021 für seine Pionierarbeit auf dem Gebiet der digitalen Audiotechnik als erster Schweizer einen Technical Grammy erhielt. Auch er spricht von einem wachsenden Markt, beliefert aber ebenfalls besonders oft asiatische Kunden. «Gerade in Japan gibt es viele Technikfans, die weltweit nach den besten Produkten suchen.».
Jahrelang tüftelte Weiss etwa an einer Soundbar, die er dieses Jahr auf den Markt bringen will – eine Art flachliegender, eineinhalb Meter langer Lautsprecher, der auf ein Sideboard passt, ausgestattet mit einer sogenannten Crosstalk-Cancelling-Funktion. «Bei normalen Stereolautsprechern gelangt ein Teil des Klangs vom rechten Lautsprecher zum linken Ohr und umgekehrt», erklärt Weiss. Hier sei das nicht der Fall: Die Töne von rechts gehen ans rechte Ohr und jene von links ans linke. Der Effekt ist tatsächlich verblüffend. Ein Stück von Bob Marley, das Weiss zur Hörprobe abspielt, hat nun einen derart weiten Soundteppich, dass der Hörer das Gefühl hat, die einzelnen Instrumente seien breit im Raum verteilt – wie bei einem Livekonzert auf der Bühne. Kosten wird das Teil so viel wie ein guter Kleinwagen, 15 Stück will er in einer ersten Serie herstellen.
Unsichtbare Lautsprecher
Bekannt ist Weiss jedoch seit vielen Jahren besonders für Geräte wie seine Digital-Analog-Wandler. Diese sind auch im Streaming-Zeitalter populär bei High-End-Kunden, da sie das digitale Signal vom Streamingdienst – die laut Weiss inzwischen qualitativ hochwertig Musik wiedergeben – in ein analoges für die Lautsprecher konvertieren. In den 1980ern arbeitete der Elektroingenieur noch für Revox im Labor in Regensdorf und tüftelte unter anderem an solchen Geräten. 1985 machte er sich schliesslich selbstständig und erzielt heute einen Umsatz zwischen ein und zwei Millionen Franken.
Preislich bewegt man sich bei den Hi-Fi-Geräten von Revox eine Stufe darunter. Laut Frischknecht ist man für die Standard-Einrichtung im Hauptraum mit gut 5000 Franken dabei, pro weiteren Raum rechnet er dann mit zusätzlichen 1000 Franken. Die Multi-Room-Angebote sind denn auch einer der wichtigsten Wachstumstreiber. «Wer sich ein Haus baut, will in der Regel auch eine vernünftige Musikanlage haben», sagt er.
Ein anderes Zukunftssegment für Revox sind die sogenannt unsichtbaren Lautsprecher. Sie sind flach und lassen sich in die Wände verbauen. Die Wand wird dann normal verputzt, sodass nicht zu erkennen ist, dass sich dahinter ein Lautsprecher befindet. Und der Klang ist erstaunlich gut, wie er und Morawetz im Vorführraum präsentieren. Vor zwei Jahren hat Revox die darauf spezialisierte Firma Pursonic übernommen. Zum Einsatz kommen sie bereits in Restaurants, Krankenhäusern, Spas, Heimkinos und auch in einigen Hotels wie dem Chedi in Andermatt oder dem Rasmushof in Kitzbühel. Die Basis für ein Revival scheint nun zumindest gelegt. CEO Morawetz muss es nun gelingen, die gehobenen Fachhändler von den neuen Produkten zu überzeugen. Zwar verkauft Revox ebenfalls über die eigene Webseite. Doch im Hi-Fi-Bereich ist noch immer der Fachhandel entscheidend.