Die Geheimbotschaften der Königin


February 10, 2023

Durch Zufall tauchen verschlüsselte Briefe von Maria Stuart auf. Wie Computerprogramme dabei helfen können, Lücken in der historischen Überlieferung zu schliessen.

Wirklich gut war Maria Stuart nicht darin, Geheimnisse zu bewahren. Die schottische Königin (1542–1587) verlebte ihre letzten 18 Jahre als politische Gefangene in englischen Burgen und Schlössern. Um Kontakt zu ihren Unterstützern zu halten, steckte sie in dieser Zeit Besuchern geheime Botschaften zu – vermeintlich unbemerkt. Tatsächlich fingen englische Spione einige ihrer Briefe ab, und am Ende wurde sie hingerichtet. Sie habe aus der Haft heraus geplant, ihre Tante zweiten Grades, die englische Königin Elizabeth I., zu ermorden, war der Vorwurf. Und es gehört zur Ironie der Geschichte, dass die Briefe, die als Beweis dienten, womöglich gefälscht waren.

Nun aber sind durch einen Zufall 57 Geheimbriefe Maria Stuarts aus den Jahren von 1578 bis 1584 aufgetaucht, die den Engländern zum grössten Teil nicht in die Finger geraten waren. Forscher um den israelischen Kryptografen George Lasry haben die Botschaften im Online-Archiv der Französischen Nationalbibliothek entdeckt. Dabei hatten sie, wie sie in der Fachzeitschrift «Cryptologia» berichten, gar nicht nach ihnen gesucht. Sie interessierten sich aus reiner Leidenschaft allgemein für historische Geheimschriften. Das Archiv hatte ebenfalls keine Ahnung. Abgelegt hatte es die Dokumente als «Italienische Angelegenheiten», Autor unklar.

Inhaltlich muss die Geschichte der schottischen Königin nun nicht gerade umgeschrieben werden. Die Briefe, die Stuart an den damaligen französischen Botschafter in England, Michel de Castelnau de Mauvissière, richtete, zeigen vor allem, wie lange es ihr gelang, Kontakt nach draussen zu halten, und vermitteln ansonsten eher ein Stimmungsbild. So beklagt sich Stuart etwa darüber, dass sie sich in Gefangenschaft kaum körperlich betätigen könne, und wünscht sich Hafterleichterungen (die sie nicht bekommt), sie sorgt sich, dass ihre Verhandlungen mit Elizabeth I. hintertrieben würden, und macht ihrem Unmut über ihre Widersacher Luft. Francis Walsingham etwa, der Sekretär und Spionagechef Elizabeths I., sei in Wahrheit selbst ein Verschwörer, schreibt sie.

Ohne maschinelle Hilfe kann sich das Entziffern hinziehen

Dass diese Zeilen nach mehr als vier Jahrhunderten wieder lesbar sind, zeigt beispielhaft, wie Computerprogramme die Geschichtswissenschaften voranbringen können. Längst hilft künstliche Intelligenz etwa dabei, jahrtausendealte Keilschriften zu entschlüsseln. Und auch alte Geheimschriften sind keineswegs selten. In Archiven und Bibliotheken lägen Tausende chiffrierte und nicht entschlüsselte historische Manuskripte, darunter Tagebücher, Spionageberichte, diplomatischer Schriftverkehr oder auch Briefe von Geheimgesellschaften, heisst es von dem Projekt Decrypt, an dem auch Lasry beteiligt ist. Hier arbeiten Forscher verschiedener Universitäten zusammen, um diese Codes mithilfe von Rechenleistung zu knacken und damit Lücken in der historischen Überlieferung zu stopfen.

Denn ohne maschinelle Hilfe kann sich das Entschlüsseln hinziehen. Bereits seit 2015 zum Beispiel sind Forscher aus München und Münster damit beschäftigt, die Tagebücher des katholischen Münchner Erzbischofs Michael von Faulhaber (1869–1952) zu entziffern. Dabei sind die nicht einmal chiffriert, sondern lediglich in der nicht mehr gängigen Gabelsberger-Kurzschrift verfasst.

Maria Stuart ging da deutlich konspirativer vor. Ihr Grundprinzip war dabei dem der Stenografie durchaus ähnlich: Einige ihrer Zeichen standen für Buchstaben, andere für Silben, wieder andere für ganze Wörter, teils auch für Eigennamen. Zusätzlich zeigten bestimmte Symbole an, dass andere Zeichen verdoppelt oder weggedacht werden mussten. Ausserdem nutzte die eingesperrte Königin homofone Zeichen, also verschiedene Symbole für denselben Laut. Denn Kryptografen suchen gerne nach relativ häufig wiederkehrenden Zeichen, um zu prüfen, ob diese vielleicht für besonders oft vorkommende Buchstaben stehen. Mit homofonen Zeichen lässt sich das Entschlüsseln deshalb erschweren.

Nicht übermässig komplex

Beim Entschlüsseln der Geheimschrift half den Forschern Rechenleistung. Ein erstes Computerprogramm unterstützte sie zunächst beim Lesen und Identifizieren der königlichen Handschrift. Ein zweites untersuchte die Kombinationen der Symbole, identifizierte homofone Zeichen und half den Wissenschaftlern auch dabei, überhaupt zu erkennen, dass die Briefe auf Französisch geschrieben waren. Selbst knobeln mussten die Forscher daher erst am Ende. Das könne man sich vorstellen wie bei einem Kreuzworträtsel, schreiben sie in ihrer Studie: Jedes neue Symbol mache die folgende Arbeit leichter. Am Ende hatten sie etwa 150’000 Zeichen entschlüsselt.

Übermässig komplex war Maria Stuarts Verschlüsselungstechnik offenbar nicht. Sie hätten zwar noch nie derart viele Briefe von einer so berühmten Person dechiffriert, sagte George Lasry dem Sender CNN. Aber sie hätten auch schon schwierigere Codes geknackt.

Starten Sie jeden Tag informiert in den Tag mit unserem Newsletter der Morgen. Melden Sie sich hier an.

Leave a Reply

Your email address will not be published. Required fields are marked *

Related

Would you like to receive notifications on latest updates? No Yes